Neugierige Blicke gen Himmel gerichtet

Jenaer Verein Volkssternwarte Urania besteht heute 90 Jahre
Turbulente Zeit nach der Wende

von Wilfried Weise

Der Verein Volkssternwarte Urania Jena e.V. begeht heute sein 90jähriges Bestehen. 1897 wurde in der Firma Carl Zeiss die Astro-Abteilung ins Leben gerufen, deren Leitung Max Pauly innehatte. Die Entwicklung und Herstellung von Optiken für die unterschiedlichsten astronomischen Geräte übernahm die Firma Schott. Für den neuen aufstrebenden Zweig der Firma Zeiss gab es somit beste Bedingungen. Bei vielen Mitarbeitern des Astrobereiches, in der Mehrzahl Mechaniker, war das Interesse an naturwissenschaftlicher Betätigung, besonders an amateurastronomischer Arbeit, geweckt worden. Der Gedanke eines Vereins zur Himmelsbeobachtung wurde geboren und alsbald in die Tat umgesetzt. Hier leistete Mechaniker Karl Klostermann (Meister der Abteilung Teilerei) zielstrebig die Vorarbeit.

Im Lokal "Gute Quelle", Johannisstraße 11, nahe dem Johannistor, kam es am 9. März 1909 zur Gründung der Liebhabervereinigung Urania eGmbH. mit dem ersten Vorsitzenden Karl Klostermann. Damit war die Voraussetzung zum Erwerb eines Grundstückes für den Bau einer Sternwarte gegeben. Durch einen glücklichen Umstand war dies jedoch nicht mehr erforderlich. Die junge Vereinigung erhielt von der Firma Carl Zeiss die noch zu Lebzeiten Ernst Abbes errichtete erste Werkssternwarte auf dem Forst - ca. 3 km westlich von Jena in 345 m über NN und ca. 300 m hinter dem Forsthaus idyllisch im Wald gelegen. Diese Sternwarte war nach etwa dreijähriger Nutzungszeit durch die Firma Carl Zeiss wegen der enormen Transportunbequemlichkeiten der an Gewicht und Größe zunehmenden astronomischen Geräte stillgelegt worden. Eine zweite Werkssternwarte wurde auf dem Werksgelände (Bau 10) errichtet, deren Relikte heute noch über der Goethe-Galerie sichtbar sind. Die Geschäftsleitung der Firma Carl Zeiss stellte dem jungen Urania-Verein neben der leerstehenden Sternwarte zusätzlich einen Refraktor (130/1950 mm), einen Kometensucher (80/500 mm), ein Protuberanzenspektroskop, einen Himmelsglobus - letztere Gegenstände sind heute noch im Einsatz - und vieles andere mehr kostenlos zur Verfügung. Zusätzlich baute sie 1913 noch den Vorbau mit einer größeren Plattform für Beobachtungszwecke an das Kuppelgebäude an.

Das Engagement der Vereinsmitglieder für ein eigenes Domizil für Himmelsbeobachtungen, aber auch für die Öffentlichkeit, hatte sich gelohnt. Die Sternwarte wurde fürs Publikum wochentags von 18 bis 22 Uhr und sonntags zur Sonnenbeobachtung auch tagsüber geöffnet. Höhepunkte in dieser Zeit waren die Beobachtung des Kometen Halley 1910, übrigens 1986 zum zweitenmal vom Verein beobachtet und photographiert, und die Sonnenfinsternis von 1912. Die Besucherzahlen stiegen auf über 2000 an, Indiz dafür, daß die astronomische Einrichtung für die Jenaer Bevölkerung zu einem beliebten Besichtigungsobjekt geworden war.

Am 16. Dezember 1923 wurde die Genossenschaft Urania eGmbH. in einer Generalversammlung in Volkssternwarte Urania Jena e.V. umbenannt, waren doch viele Paragraphen des ehemaligen Genossenschaftsgesetzes für die breite Öffentlichkeitsarbeit des Vereins sehr hinderlich geworden. Neuer Vorsitzender wurde nun Bruno Müller (Konstrukteur). Die Mitgliederzahl im Verein war zum 25jährigen Bestehen auf beachtliche 109 Mitglieder angewachsen, darunter - in der Chronik besonders vermerkt - sieben weibliche. Jetzt gehörten dem Verein neben Werksangehörigen der Firma Carl Zeiss auch Lehrer, Studenten und andere Intellektuelle an.

Testamentarische Verfügung

Das Jahr 1936 ist ein trauriger Wendepunkt in der jungen Vereinsgeschichte der Jenaer "Uraniden", wie die Vereinsmitglieder im Volksmund auch genannt wurden. Prof. H. Siedentopf von der Universitäts-Sternwarte beantragte bei der Carl-Zeiss-Stiftung die Übernahme der Forststernwarte für wissenschaftliche Zwecke. Der Verein sollte zum Ausgleich die kleine zur Universitäts-Sternwarte gehörende Blechkuppel (Winklersche Kuppel) im Schillergäßchen erhalten. Die Entscheidung fiel zugunsten Prof. H. Siedentopfs aus. Der Verein mußte Ende 1935 sein einstiges Domizil Forststernwarte aufgeben. Alles eigene Inventar wurde zur kleinen Sternwarte im Schillergäßchen transportiert. Diese kleine Blechkuppel mit einem Durchmesser von 4.5m von der Firma Heide (Dresden) stand ursprünglich auf dem Gelände der Winklerschen Villa, Philiosophenweg 42, und hatte bis 1910 dem in Jena lebenden Eisenberger Privatastronom Dr. Wilhelm Winkler (1842-1910) als Sternwarte - in der Zeitschrift Astronomische Nachrichten als "Privatsternwarte Jena II" bezeichnet - gedient. In seinem Testament legte er fest, daß die Kuppel, ein Großteil seiner astronomischen Geräte, Bücher und vieles andere der Universitäts-Sternwarte vermacht werden sollte, die kleine Privatsternwarte aber in die Nähe der Universitäts-Sternwarte ins Schillergäßchen umgesetzt wird. Dazu noch notwendige Finanzmittel wurden schon im Testament mit berücksichtigt.

Nach umfangreichen Renovierungen in der Winklerschen Kuppel - Ergänzung durch einen kleinen Vortragsraum und eine Beobachtungsplattform sowie Montage des gestreckten Refraktors von der Forststernwarte durch die Firma Carl Zeiss - konnte der Verein im September 1936 die Pforten seines neuen Domizils im Schillergäßchen wiedereröffnen. Für die Vereinsmitglieder waren die Beobachtungsbedingungen zwar nicht so gut wie auf dem Forst, dafür aber war für Schulen und andere an Astronomie interessierte Besucher der neue Standort ein Gewinn.

In den Kriegsjahren 1939 bis 1945 kam die Sternwarte fast zum Erliegen, die Blechkuppel rostete und war fast dem Verfall nahe. 1945 hatten alle Vereine ihre Tätigkeit einzustellen. 1947 leitete Vorstandsmitglied Eschrich mit Unterstützung des Betriebes Carl Zeiss erste Maßnahmen zum Erhalt der Sternwarte ein. Die Mitglieder des Vereins wurden 1949 als Kulturgruppe AG Astronomie dem Volkshaus untergeordnet, eine eigene Vereinstätigkeit war verboten. 1953 kam es auf Initiative des Sternwartenleiters Alfred Jensch zur Sanierung des durchgerosteten Kuppelgebäudes. Es wurde durch ein neues Mauerwerk und eine neue Holzkuppel (Durchmesser 4.2 m) ersetzt, der Refraktor (130/1950 mm) bekam eine moderne Montierung.

Der 19. April 1966 wurde zu einem weiteren Höhepunkt in der Sternwartengeschichte. An diesem Tag übergab die Universitäts-Sternwarte Jena die Forststernwarte einschließlich des Cassegrain-Spiegelteleskops (500/10000 mm) wieder an die Mitglieder der AG Astronomie. Somit besaßen die Jenaer Sternfreunde nun zwei Sternwarten. Nach gründlicher Rekonstruktion der Forststernwarte konnten die besseren Bedingungen für Beobachtung und Photographie von Himmelsobjekten genutzt werden. Die Tätigkeit der Sternwarte erlebte in dieser Zeit wieder einen Aufschwung. Die stürmische Entwicklung in der Raumfahrt seit Anfang der 60er Jahre tat ein Übriges dazu. Neben der Beobachtung und Photographie von Himmelsobjekten testete man astronomische Amateurgeräte, organisierte öffentliche Führungen und betreute eine Schülerarbeitsgemeinschaft, wobei ein Hauptanliegen die Vermittlung populärwissenschaftlichen Wissens auf atsronomischem und astronautischem Gebiet war und ist.

Optimistisch für die Zukunft

In den Wendejahren 1989/90 stürzten viele Probleme auf die Sternfreunde ein. So kam es 1989 zur Trennung vom Volkshaus und am 5. Dezember ‘90 zur Neugründung des Vereins Volkssternwarte Urania Jena e.V.. Am 24. Januar 1991 wurde die Gemeinnützigkeit zuerkannt. In diese Zeit fiel die Auflösung des Zeissbetriebes und der Weggang vieler erfahrener Vereinsmitglieder aufgrund von Arbeitslosigkeit. Dazu kamen Finanzierungsprobleme und unklare Grundstücksverhältnisse. Seit ‘92 befinden sich jedoch Sternwartengebäude sowie Grund und Boden im Eigentum der Ernst-Abbe-Stiftung. Das gesamte Inventar ist Eigentum des Vereins. Durch die Bemühungen des Vereins konnte die Forststernwarte 1995 unter Denkmalschutz gestellt werden.

Der Verein sieht trotz aller Probleme und Geldsorgen optimistisch in die Zukunft. Das Ansteigen der Mitglieder- und Besucherzahlen aus dem In- und Ausland gibt ebenso Grund zur Hoffnung wie spektakuläre astronomische Ereignisse in den letzten und folgenden Jahren (97/98 die Kometen Hyakutake und Hale-Bopp, 1999 die Sonnenfinsternis u.a.). Die einstige ironische Bemerkung des Leiters der Astroabteilung der Firma Carl Zeiss, Dr. Max Pauly, im Jahre 1909, der Verein werde bestenfalls drei Jahre bestehen und sich danach in einen Kegelklub umwandeln, bestätigte sich zum Glück nicht.